Tetzahuitl (Deutsch) Mural Saner 2022
Tetzahuitl Postapokalyptische Visionen des 12. Buches von Edgar Flores SANER
Das Käte Hamburger Kolleg für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien (CAPAS) ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Zentrum für Spitzenforschung an der Universität Heidelberg. Es erforscht, wie sich Katastrophen und Endzeitszenarien auf Gesellschaften, Individuen und Umwelt auswirken. Der Austausch mit der breiten Öffentlichkeit und Kunst- und Kulturschaffenden sind ein zentraler Bestandteil des Forschungsinteresses des Kollegs. Kunst hat eine doppelte Relevanz, da sie ein bestimmtes kulturelles Imaginär über das Ende der Welten sowohl zum Ausdruck bringt als auch formt. CAPAS Gastwissenschaftler Prof. Dr. Adolfo Mantilla Osornio kuratierte die Kooperation und Ausstellung mit dem mexikanischen Künstler SANER, der die Kunstreihe Postapokalyptische Visionen des 12. Buches kreierte, die die Entstehung eines Wandbildes an der Julius-Springer-Schule in Heidelberg begleitet.
Die erste Fassung der Geschichte von der Zerstörung der vorspanischen Welt der Mexica, die im Buch XII der Historia general de las Cosas de la Nueva España enthalten ist, wurde von dem Franziskaner Bernardino de Sahagún, vermutlich zwischen 1545 und 1551, in Nahuatl (einer indigenen Sprache) und Spanisch verfasst. Die Geschichte basiert auf früheren Bildern, die zuvor zusammen mit mündlichen Erzählungen der indigenen Bevölkerungsgruppen weitergegeben wurden. Es handelt sich also nicht um bloße Illustrationen, da sie erst später in schriftlichen Text in Nahuatl und Spanisch übertragen wurden. Die späteren Textfassungen im so genannten Florentiner Codex und im Codex Matritenses wurden von dieser frühen Handschrift abgeleitet. Buch XII beginnt mit einem Verweis auf acht Tetzahuitl, ein Wort, das sich in den Erzählungen der Nahuatl-Tradition auf vielfältige Ereignisse bezieht, die Phänomene vorwegnehmen, von denen es heißt, dass sie die Ordnung des individuellen und kollektiven Lebens verändern werden. In vielen Fällen handelt es sich um Geschichten über das Ende von Gesellschaften, Existenzen und den Zusammenbruch von Zivilisationen, wie in den Texten der Relación de Michoacán, die Franziskaner Jerónimo de Alcalá zugeschrieben werden und um 1540-1541 geschrieben wurden. Ein weiteres Beispiel ist die Erzählung über den Fall der Stadt Tollan (oder Tula), die in den Werken von Franziskaner Bernardino de Sahagún, Franziskaner Juan de Torquemada und dem Jesuiten Francisco Javier Clavigero zu finden ist.
Ursprünglich beschreiben Tetzahuitl Erfahrungen, die durch eine indigene Perspektive bestimmt werden, die mit Prinzipien der Raum-Zeit-Beziehungen in mesoamerikanischen Imaginären verbunden sind. Die in Buch XII erwähnten Omen scheinen jedoch das Produkt einer transkulturellen Vision zu sein, die versucht, in den Erzählungen der indigenen Kultur Elemente zu finden, die mit den europäischen Vorstellungen übereinstimmen. Man muss die Historia general de las Cosas de la Nueva España als eine umfassende Enzyklopädie der Nahua-Kultur lesen, auch wenn sie unter dem Einfluss von Franziskanermönchen und unter dem Eindruck der Conquista geschrieben wurde - quasi ein postapokalyptisches Produkt. Die Reihe Postapokalyptische Visionen des 12. Buches schlägt einen zeitgenössischen Zugang zu den Weltanschauungen, Mythen und Geschichten vor, die in den besagten Erzählungen enthalten sind. Dies erlaubt es dem Betrachter, eine Vielzahl von Realitäten in kulturellen Praktiken, Sprachen und Darstellungen zu finden und ermöglicht so die Erforschung verschiedener kosmohistorischer und kosmopolitischer Dimensionen.
[§0] Erstes Kapitel, in dem gesagt wird, was geschah. Es wurden Zeichen und Tetzáhuitl (Omen) gesehen, als die Spanier noch nicht in das Land gekommen waren; als sie den Bewohnern noch nicht bekannt waren.
Erstes Omen
[§1] Zehn Jahre bevor die Spanier in dieses Land kamen, erschien zum ersten Mal ein Tetzahuitl (Omen) am Himmel, etwas Wunderbares und Schreckliches zugleich. Es funkelte wie ein Feuerzapfen, wie eine Flammenzunge und wie die Morgenröte. Es erhob sich und schien den Himmel zu durchbohren. Unten war es breit und oben spitz. Sein Zentrum reichte bis weit in die Mitte des Himmels. So sah es von Osten aus; es kam aus dieser Richtung. So erschien es um Mitternacht, dabei schien es zu dämmern. Als die Morgendämmerung kam, ließ die aufgehende Sonne es verschwinden. Ein ganzes Jahr lang zeigte es sich hier (es war im zwölften Haus, wo es begann). Und wenn es auftauchte, machten die Menschen Lärm und hielten sich die Hände vor ihren Mund; sie waren schockiert und drückten ihre Angst aus.
Zweites Omen
[§2] Das zweite Tetzahuitl (Omen), das sich hier in Mexiko ereignete, war das Haus des Gottes Huitzilopochtli (Kriegsgott), genannt „sein Berg“ Tlacateccan, das auf wundersame Weise in Flammen aufging. Niemand hatte das Feuer ausgelöst. Es war wie folgt: Die Flammenzungen, Feuerspeier und lodernden Flammen schienen aus dem Inneren der Holzsäulen zu kommen. Das ganze Haus brannte sehr schnell und zerfiel in Asche. Die Leute begannen zu schreien: „Mexikaner, kommt alle herbeigelaufen, es muss gelöscht werden, bringt eure Wasserkrüge!“ Aber als sie Wasser darauf schütteten und versuchten, es zu löschen, entfachte das Feuer nur noch stärker. Es konnte nicht gelöscht werden, und alles war völlig verbrannt.
Drittes Omen
[§3] Drittes Tetzahuitl (Omen): Ein Blitz schlug in den Tempel von Xiuhteuctli, dem Gott des Feuers, ein. Der Ort war nur eine Hütte und hieß Tzonmolco. Es regnete nicht stark, sondern nur Tau war zu sehen, was als Omen angesehen wurde. So wurde gesagt: „Es war nur eine Entladung der Sonne“ und "der Donner war auch nicht zu hören".
Viertes Omen
[§4] Viertes Tetzahuitl (Omen): Als die Sonne noch schien, fiel ein Feuer, das sich in drei Teile teilte. Es begann dort, wo die Sonne untergeht, und bewegte sich in die Richtung, in der sie aufsteigt. Ähnlich wie eine Glut, die über den Himmel zieht, hatte es einen langen Schweif, der eine große Entfernung erreichte. Und als es zu sehen war, machten die Menschen so viel Lärm, dass es war, als würden viele Glocken läuten.
Fünftes Omen
[§5] Fünftes Tetzahuitl (Omen): Das Wasser des Sees kochte über und es war nicht der Wind, der es verursachte. Es war fast so, als ob es geräuschvoll sprudelte. Das Wasser erreichte von weit und breit; es stieg auf und erreichte die Grundmauern der Häuser, so dass sie zerstört wurden. Das war der große See, der sich hier in Mexiko um uns herum erstreckt.
Sechstes Omen
[§6] Sechstes Tetzahuitl (Omen): Viele Male hat man eine Frau weinen und schreien gehört. In der Nacht schreit sie viel, und sie geht herum und sagt: "Meine Kinder, deshalb werden wir bald untergehen (vernichtet werden)". Manchmal sagt sie: „Meine Kinder, wohin soll ich euch nur bringen?“
Siebtes Omen
[§7] Siebtes Tetzahuitl (Omen): Einst fischten und jagten die Bewohner der Gewässer mit Netzen, und sie fingen einen dunklen Vogel von der Größe eines Kranichs. Dann gingen sie, um ihn Moteucçoma (dem Herrscher) zu zeigen, der sich an einem Ort der Schwärze (ein heiliger Ort) aufhielt, den sie Tlillan nannten, in Calmecac (eine Schule für Kinder des Adels). Die Sonne war bereits untergegangen, aber es war noch hell. Auf der Spitze des Kranichs befand sich so etwas wie ein Spiegel, kreisförmig wie eine Winde und rund, als ob er in der Mitte durchlöchert wäre. Dort konnte man den Himmel, die Sterne und ein Mamalhuaztli (eine Sternenkonstellation, auch eine Vorrichtung zum Bohren von Holz, um Feuer zu machen) sehen. Und Moteucçoma hielt es für ein sehr schlechtes Omen, als er die Sterne und das Mamalhuaztli sah. Als er das zweite Mal auf den Kopf des Vogels blickte, sah er so etwas wie eine Vielzahl, eine Schar von Menschen, die im Anmarsch waren, sie kamen, um zu erobern, sie kamen in Kriegskleidung, und sie wurden von Hirschen getragen. Dann rief er die Wahrsager, die Weisen, und sagte zu ihnen: "Wisst ihr nicht, was ich gesehen habe? So etwas wie eine Schar von Menschen, die herbeimarschieren". Aber als sie ihm antworten wollten, verschwand das, was sie sahen, und sie konnten nichts mehr sagen.
Achtes Omen
[§8] Achtes Tetzahuitl (Omen): Viele Male wurden Männer gesehen, monströse Männer, mit zwei Köpfen und nur einem Körper; sie wurden zum Tlillan (einem heiligen Ort) in Calmecac (einer Schule für Kinder des Adels) gebracht. Moctezuma (der Herrscher) würde sie dort sehen; er würde sie sehen und sie würden sofort verschwinden.
Über das Projekt
Der Künstler Saner (Edgar Flores) ist ein Illustrator, Grafikdesigner und Street Artist aus Mexiko. Seine Werke zeigen oft Alltagssituationen mit Figuren, die indigene Symbole und Kleidung tragen und verschiedene politische und soziale Diskurse ansprechen. Hauptelemente in Saners Werk sind Masken mit Figuren und Tieren wie Jaguaren, Kojoten, Göttern und Totenköpfen, die die mystischen Elemente der mexikanischen Tradition widerspiegeln. Sie drücken die Emotionen aus, die jede Figur repräsentiert, und zeigen so paradoxerweise erst durch die Verhüllung ihr wahres Gesicht.
Graffiti und Streetart bilden seit Jahrzehnten den kreativen Nukleus großer Metropolen und sind die Farbtupfer, die unsere Städte lebendig machen. Auf 4000qm Innen- und Außenfläche bietet Metropolink einen der größten Orte Deutschlands für Straßenkunst. Mit zahlreichen Wandgemälden international bis national bekannter Künstler*innen ist das Festival ein Melting-Pot der UrbanArt und Ort für kreative Experimente, Workshops, Lichtshows und leckere Verköstigung. Der sorgfältig ausgesuchte Line-up an Bands und Musiker*innen bringt das Publikum regelmäßig zum Kochen.
Übersetzung und Interpretation von CAPAS.